Der Raum als dritter Erzieher- diesen Ausspruch habt ihr sicher schon einmal gehört. Aber was heißt das eigentlich? Ist der Raum gut eingerichtet, erfüllt die Bedürfnisse der Menschen, die sich in ihm aufhalten, regt alle individuellen Bildungsprozesse an und schafft Beziehungen, kann er unterstützend sein. Erfüllt er diese Ansprüche nicht, kann er gegen euch arbeiten. Ein Beispiel: Ein Raum verträgt kein NEIN. Müsst ihr zu viele Regeln einführen und kontrollieren, bindet er Ressourcen, die ihr für andere Dinge benötigt. Ist der Raum aber gut, durch Beobachtung, strukturiert, bietet spannende Hausforderungen, unterstützt die Entwicklungsaufgaben der Kinder und ermöglicht ihnen Autonomie und Selbstständigkeit, könnt ihr euch wichtigeren Dingen widmen. Und das soll Raumgestaltung können? Achtet ihr auf ein paar wenige grundlegende Dinge- JA, dann ist das möglich. Ich möchte gerne einige dieser Grundlagen mit euch teilen.
Kita-Räume sind gelebte Konzeption
Um einen guten Alltag für Kinder zu gestalten ist es wichtig, dass ihr euch in euren Räumen wohlfühlt. Es sollte ausreichend Platz für Erzieher*Innen geben und auch an eure Bedürfnisse, Gesundheit und Sicherheit müssen berücksichtigt werden. Bedenkt jedoch, dass es nicht eure persönlichen Räume sind, sondern dass sie den Bedürfnissen von vielen Menschen entsprechen müssen. Kita-Räume sind gelebte Konzeption. Es geht nicht nur darum, die Räume schön zu gestalten, sondern eher darum eure pädagogischen Leitgedanken und Ziele sichtbar werden zu lassen und damit Kindern Raum für ihre individuellen Bildungsprozesse zu geben.
Für einen Einstieg in das Thema Raumgestaltung lade ich Euch ein zu Spielorten in eurer Kindheit zu reisen und über folgende Fragen in den Austausch im Team und mit Eltern zu kommen:
· Welche Qualität von Kindheit habe ich erlebt?
· Welche Möglichkeitsräume hatte ich?
· Wie können wir diese Möglichkeiten heute für Kinder ermöglichen?
Der Raum wirkt immer
Für eine gute Raumgestaltung in Kitas sind im Wesentlichen drei Grundlagen von Bedeutung:
1. Der Raum wirkt immer
2. Mit welchem Bildungsverständnis richtet ihr Räume ein?
3. Welches Menschenbild (Bild vom Kind) leitet uns?
Diese drei Säulen der Raumgestaltung möchte ich euch etwas genauer vorstellen.
1. Räume wirken immer: Mit Räumen ist es wie mit der Kommunikation: „Man kann nicht nichtkommunizieren.“ Genauso wirken Räume immer und nehmen sofort Einfluss auf unser Wohlbefinden, unsere Beziehungen und somit auf die Bildungsprozesse, die in diesen Räumen stattfinden können. Aus der Gehirnforschung wissen wir, dass die Materialeigenschaften und die unentrinnbare Lernumgebung mit ihren Eigenschaften wie Beschaffenheiten, Strukturen und Qualitäten (z.B. Licht- und Farbgestaltung) maßgeblich Auswirkungen auf die Qualität der Selbstbildungsprozesse des einzelnen Kindes haben. Die Wirkung von Licht und Farbe beeinflusst unseren Stoffwechsel, verändert unseren Herzschlag, den Hormonhaushalt und veranlasst Gehirntätigkeit. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, die Erkenntnisse aus der Farbpsychologie in die Überlegungen zu Raumgestaltungskonzepten mit einzubeziehen. Ein stimmiges Farbkonzept unterstützen die Funktionen des Raumes.
Objektive Aspekte, die auf die Raumqualität wirken wie z.B. Beleuchtung, Schall, Akustik, Belüftung, Regulation der Raumtemperatur, Farbwahl … und subjektive Aspekte wie z.B. Ästhetik, Möblierung, Überblicke, Einblicke, Ausblicke…spielen hier eine große Rolle.
Mit folgender Übung könnt ihr euren eigenen „Wohlfühlkatalog“ zusammenstellen:
Geht zunächst in einen Raum, in dem ihr euch nicht besonders wohlfühlt und listet auf, woran das liegt. Dann geht in einen Raum (das kann auch in Gedanken- auch außerhalb der Kita- sein) in dem ihr euch wohlfühlt und listet wieder auf, woran das liegt. Vergleicht die beiden Listen und überprüft eure Kita-Räume dahingehend.
Bildungsräume
2. Unser Bildungsverständnis: Räume müssen verschiedenen Bedürfnissen entsprechen. Jeder Raum ist ein Wahrnehmungsraum, Körper- und Bewegungsraum, Explorationsraum, Gestaltungsraum, Orientierungsraum, Rückzugs- und Ruheraum u.v.m. Stellt gemeinsam fest welche Bedürfnisse ihr in euren Räumen erfüllen wollt. Was ist bereits vorhanden? Was fehlt? Welche Bedürfnisse werden mit den gleichen Dingen befriedigt?
Grundsätzlich sind folgende Fragen für eine bildungsorientierte Raumgestaltung individuell zu beantworten: Wofür stehen wir? Wer sind wir? Welche Visionen und Ziele haben wir? Welche Schwerpunkte haben wir? Welche Entwicklungsaufgaben und Bedürfnisse sollen hier erfüllt werden? In welchem Umfeld arbeiten wir? Welche Familien besuchen unsere Kita?
Ist unsere Konzeption in unseren Räumen zu sehen? Sind unsere Leitgedanken erkennbar? Entsprechen Eure Räume dem aktuellen Bildungsverständnis (Selbstbildung)? Bieten unsere Räume Antworten auf die Entwicklungsaufgaben der Kinder? Stellen unsere Räume ausreichende Heraus- uns Anforderungen dar, oder sind sie zu langweilig? Wie selbsttätig können Kinder in diesen Räumen sein? Sind die Themen der Kinder sichtbar? Gibt es Plätze für Eltern? Werden Eltern und Besucher gut informiert?...
Fragen über Fragen- Überprüft Eure Räume mit diesen Fragen und entwickelt eure einrichtungsspezifischen Antworten.
„Räume wirken durch den Geist, der ihnen innewohnt“ Beate Prügner
3. Welches Menschenbild leitet uns? „Der Geist eines Raumes drückt eine innere Haltung der Menschen aus, die diese Räume bereitstellen, gestalten, in ihnen Zeit verbringen und sie auch pflegen.“ Beate Prügner
Nehmt Euch einmal euer, in eurer Konzeption und/oder dem BEP eures Bundeslandes, formuliertes Bild vom Kind vor. Überprüft mit dieser „Brille“ einmal eure Räume.
Ein Beispiel: Hocker oder Hochstühle im U3 Bereich? Von eurem Bild von Kind aus betrachtet- was ist hier eine stimmige Antwort? Ist das Kind kompetent, selbstbestimmt, individuell… oder schutzbedürftig, behütet, abhängig von…?
Entscheidend ist unsere Haltung, mit der wir Räume zur Verfügung stellen. Sprechen wir von Individualität und Rechten von Kindern, gilt dies uneingeschränkt auch für Kinder unter drei Jahren. Gut sind hier z.B. Sitzmöglichkeiten in verschiedenen Höhen (mitwachsende/höhenverstellbare Tische oder unterschiedliche Tischhöhen, Hocker und/oder Sitzmöglichkeiten für individuelle Entwicklungsstufen, Fußbänke, Klapptische…)
Was nicht sichtbar ist, ist nicht da
Kennt Ihr das: beim Durchstöbern oder auf der Suche nach etwas stoßt ihr auf etwas, was ihr eigentlich nicht vermisst habt, aber euch freut, dass es jetzt auftaucht. Mit Räumen ist es ähnlich: Aus den Augen, aus dem Sinn. Das Materialangebot muss am besten so „lecker wie ein Buffett“ sein. Durch Transparenz und Sichtbarkeit setzt ihr Impulse und fordert zu Neuem heraus. Trotzdem Vorsicht: Weniger ist auch hier mehr. Beobachtet gut, was die Kinder gerade interessiert und erweitert das Material. Wechselt eher öfter das Spielmaterial. Sichtbarkeit schafft ihr durch transparente Boxen oder Registerboxen mit Spielen, Büchern o.Ä., so dass die Kinder anderes Material anfordern können, auch wenn es nicht immer im Raum vorhanden ist.
Geht auch zuviel?
Wir kommen mit allen Sinnen, zunächst noch grob und undifferenziert, auf die Weltgeboren. Sie entwickeln sich im Laufe unseres Lebens, in dem Maße und der Qualität, wie unsere Lernumgebung dies ermöglicht. Kinder nehmen ihre Umwelt mit allen Sinnen wahr. Über die Sinne machen sie Lernerfahrungen, auf die sie ein Leben lang zurückgreifen können. Eine stimmige sinnliche Lernumgebung ist von elementarer frühkindlicher Bildung.
Manchmal braucht es viel von etwas und manchmal braucht es Vielfältiges. Überprüft daher, wovon eure Kinder mehr oder weniger brauchen und ob wirklich alle Sinne angesprochen werden, oder sogar überfordert sind. Zum Beispiel könnt ihr den taktilen Sinn oder Geruchssinn mit unterschiedlich duftenden (z.B. verschiedene Arten von Naturbausteinen, Stöcker…) Materialien und Oberflächenstrukturen anregen. Der visuelle Sinn oder die Akustik sind oft stark überstrapaziert- hier muss evtl. eher reduziert werden. Und was ist mit den Tiefensinnen/Bewegungssinn- können sich Kinder gut und vielfältig in den Räumen bewegen (Hochebenen, Podeste, Höhlen… oder wird ihr Bewegungsdran durch zu viele Tische und Stühle gebremst? Die Lösung können flexible Möbel wie Klapptische und rollbare Möbel sein.
NIE Fertig!
Raumgestaltung ist ein sich stetig verändernder Prozess. Denn Raumgestaltung muss sich mit den Bedürfnissen und Entwicklungsprozessen der Menschen in diesen Räumen weiterentwickeln. Das heißt nicht, dass Räume ständig umgeräumt werden sollen- das würde, besonders junge Kinder, eher verunsichern. Vielmehr geht es darum Beobachtung und Reflexion zur Grundlage für Veränderungen zu machen. Achtet bereits bei der Planung auf größtmögliche Flexibilität.
Ich hoffe ich konnte Euch ein paar hilfreiche Anregungen für eure Raumgestaltung geben. Raumgestaltung ist ein sehr lebendiger, sich stätig verändernder Prozess und muss von Euch als Team individuell beschritten werden.
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